Geld aus dem Internet

Wie Logistiker digitale Alternativen zur Hausbank finden

Industrie 4.0 und Digitalisierung sind das beherrschende Thema in der Logistikszene. Komplette Wertschöpfungs- und Prozessketten können heute virtuell abgebildet und verknüpft werden. Warum nicht auch Finanzströme im digitalen Zeitalter über das Internet abwickeln?

Wenn es um Geld und Zahlungsströme geht, hat die Logistikbranche an vielen virtuellen Stellen noch Luft nach oben. Natürlich wird der klassische Zahlungsverkehr heute nahezu überall elektronisch erledigt. Rechnung, Löhne und Gehälter bezahlen Logistiker online. Doch wenn es um Finanzierungen und deren Anbahnung geht, tigern viele Mittelständler nach wie vor zur Hausbank und bitten um Kredit.

Davon ist ein Hamburger Logistikbetrieb abgekommen. Er nutzt digitale Alternativen wie ein Beispiel zeigt: Die Hausbank ist seit Jahren vertrauter Partner des Intralogistikers mit 120 Mitarbeitern. Das Kreditlimit ist selten vollkommen ausgeschöpft. Man kennt sich. Man schätzt sich. Doch für die Vorfinanzierung eines Großauftrags wählt der Inhaber, Firmenchef in dritter Generation, eine alternative Finanzierungsform.

Der Unternehmensberater des Betriebs bringt online Finetrading ins Spiel. Für die anstehende Umbaumaßnahme sind neue Regal- und Fördersysteme zu kaufen. Das Gesamtvolumen der neuen Muli-User-Anlage beläuft sich auf rund 20.000 Euro. Bis der Kunde mit seinen Konsumgütern einzieht, dauert es zwar nicht mehr lang. Trotzdem steht für den Diplom Verfahrenstechniker und Firmeninhaber schnell fest, dass er darüber nicht mit seiner Bank verhandeln will. Zumal es sich um kurzfristigen Liquiditätsbedarf handelt. Als zu träge schätzt er die Entscheidungswege des Kreditinstituts ein. Und die Konditionen von Online-Finetradern sind vielversprechend für 120 Tage Zahlungsziel.

Er entscheidet sich für das Fintech interFin. Schnell sind Logistiker und Finanzdienstleister einig. Ähnlich einem klassischen Kontokorrentkredit stellt der Finetrader eine Finanzierungslinie bereit. Basis für die Finanzierung ist jedoch ein Handelsgeschäft. Finetrading funktioniert dabei so: Kunden wie der Hamburger Familienunternehmer verhandeln wie üblich die Preis- und Liefermodalitäten mit dem Lieferanten. Im Unterschied zu herkömmlichen Geschäftsabläufen springt der Finetrader bei Vertragsabschluss als Zwischenhändler ein. Er erwirbt die Ware für einen definierten Finanzierungszeitraum von bis zu 150 Tagen.

Nach Auftragsfreigabe und Bestellung durch den Finetrader wird die Ware geliefert – an die vom Kunden angegebene Anschrift. Das FinTech begleicht die Rechnung des Lieferanten unverzüglich. Der Kunde kann dennoch das vom Finetrader gewährte Zahlungsziel voll in Anspruch nehmen. Auf diese Weise schont der Besteller die Liquidität seines Unternehmens und verringert die Kapitalbindung. Zudem verbessert er die Verhandlungsposition gegenüber seinem Lieferanten und kann als quasi Barzahler weitere Rabatte oder ein höheres Skonto verhandeln und durchsetzen.

Finetrading ähnelt in gewisser Weise dem Factoring. Doch statt Rechnungen zu verkaufen, wie beim Factoring üblich, und innerhalb von zwei Tagen Geld auf dem Konto zu sehen, bedeutet Finetrading wie geschildert ein verlängertes Zahlungsziel. Beide Finanzierungsinstrumente sorgen für eine höhere, kurzfristige Liquidität. Online Finetrading finanziert demnach den Einkauf vor. „Expansionsfreudige Firmen oder Betriebe, die ihre Angebotspalette erweitern wollen, können dies tun, ohne Banken einzubeziehen“, erklärt Dirk Oliver Haller, Vorstand der Deutschen Finetrading AG. Finetrading wird gerne eingesetzt, wenn der Kreditrahmen bei der Hausbank am Limit steht. Der Unternehmer jedoch einen Wareneinkauf tätigen will, weil etwa ein Sonderangebot vorliegt oder Saisonware gekauft werden soll.

Ein anschauliches Beispiel ist die Beschaffung von Winterreifen. Die kaufen Speditionen oder Werkstätten idealerweise im Hochsommer. Da sind die Einkaufspreise günstiger als ein Quartal später, wenn im Oktober die Saison losgeht. Beim Online-Finetrading kann nun der Reifenkäufer einen wie oben beschriebenen Finanzrahmen vereinbaren. Das Limit pro Transaktion liegt bei 20.000 Euro – bei Anbietern wie interFin. Der Mindestbestellwert beträgt hier 500 Euro. Demnach ist die Zielgruppe für das virtuelle Finanzierungsgeschäft im Bereich von kleinen Handwerksbetrieben, Händlern oder Dienstleistern anzusiedeln. Oder größeren Mittelständlern, die in diesem Korridor immer wieder kleinere Finanzlücken schließen möchten.

Laut einer aktuellen Logistikstudie der Beratungsfirma Roland Berger, glauben 95 Prozent der befragten Logistiker, dass die Digitalisierung die Logistik stark verändern wird. Vor allem Spediteure fürchten, dass sie durch digital ausgerichtete Wettbewerber Marktanteile einbüßen. Digitalisierung fängt im Kopf an, glauben viele Experten. Dass die Transport- und Dienstleistungsbranche virtuell hinterherhinkt, liegt zum einen am fachlichen Know-how im Digitalbereich (69%) und an der Unterstützung seitens der Geschäftsführung oder der Mitarbeiter (54%). Viele Unternehmer sehen die Digitalisierung aber auch kritisch. So glaubt rund die Hälfte, dass die Digitalisierung von Daten und Prozessen die Sicherheit gefährden kann.

In Sachen Seriosität sei beim Online-Finanzieren jedenfalls Entwarnung gegeben. Beim Finetrading über das Internet legen die Kunden im Netz ihre Lieferanten an und laden die zu finanzierenden Angebote hoch. Für die Bonitätsprüfung muss der Einkäufer lediglich Steuer- sowie Handelsregisternummer angeben. Bei positiver Einschätzung hat er binnen weniger Stunden die Finanzierungszusage im E-Mailpostfach. Danach kann er den Deal über den Finetrader abwickeln.

Inzwischen schätzen sogar die Banken ihre jungen Mitbewerber (siehe Infokasten): „Das stärkste Argument mit frischen FinTechs zu kollaborieren, ist eine Erweiterung des eigenen Bankportfolios“, meint auch Haller. Um das eigene Risiko zu mindern, biete sich für Logistiker die Zusammenarbeit mit FinTechs an. Analysten sehen zudem einen Imagegewinn, den sich Banken über die Zusammenarbeit einkaufen. Die innovative und moderne Strahlkraft der Start-ups strahlt auf die Banken ab, die ihren Kunden gegebenenfalls kurzfristig einen erweiterten Finanzierungsspielraum anbieten können. Gelingt die Kollaboration, profitiert die Bank langfristig davon. Denn mit überschaubarer Investition und einer für sie unkomplizierten Abwicklung, kann sie vor allem expandierenden Firmenkunden helfen.

Schöpfen Unternehmen ihren Rahmenkredit bei der Hausbank schnell aus, kann der Banker zwar eine begrenzte Überziehung genehmigen. Diese wiederum ist teuer und wirkt sich lange Zeit negativ auf das Rating des Logistikers aus. Eine Überziehung ist länger als ein Jahr negativ zu bewerten. Das Rating der Firma wird dadurch schlechter. Unabhängig davon wie gut oder schlecht sich die wirtschaftlichen Bedingungen verändern. Letztlich kostet eine kurzfristige Überziehung des Kontokorrentkredits höhere Zinsen. Kommen diese Überziehungen häufiger vor, wird die Bank Sicherheiten nachfordern. Was sich wiederum als Aufwand ohne echten Ertrag für sie herausstellen kann und die Beziehung unnötig belastet.

Ein weiterer Grund für eine Kooperation mit einem FinTech kann ein zweistelliges (prozentuales) Wachstum sein. Das kostet Liquidität. Die einer Bank zur Verfügung stehenden Blankoanteile sind unter Umständen schnell ausgeschöpft. „Finetrading wirkt meistens ratingunschädlich und hat positive Auswirkungen auf die Finanzkennzahlen“, verdeutlicht Vorstand Haller. Zumal es keine Sicherheiten benötige. Das dadurch verbesserte Rating nütze dem Kunden wie auch der Bank. Diese könne bei künftigen Darlehen weiterhin günstige Konditionen anbieten.

Infokasten

Online-Finetrading gehört in die Sparte der FinTechs, das sind meist junge Unternehmen, die den Banken Konkurrenz machen. PwC-Marktbeobachter gehen heute davon aus, dass rund 40 Prozent der Banken Partnerschaften mit FinTechs eingehen. Dabei bringen die Start-ups Produktdesign und Entwicklung ein. Die Banken liefern Vertriebs- und Infrastruktur. Manche entdecken darin sogar ein Geschäft. Sie richten Risikokapitalfonds für die Finanzierung der FinTechs ein. Besonders gut sind die jungen Wilden darin, einfache Produkte zu entwickeln und diese nahtlos zu implementieren. Schwächen haben sie oft in passender IT- oder bei der Rechtssicherheit. Bei beidem können die Banken punkten.

Leila Haidar, veröffentlicht im Magazin Logistik für Unternehmen Ausgabe 04-05/2017